Erschienen im Wochenblatt, 20. März 2024
Ich war noch nie ein Winterkind. Umso mehr feiere ich den Vorfrühling, der phänologisch schon im Februar mit den ersten Zeigerpflanzen wie Haselnussstauden, Schneeglöckchen und Schlüsselblumen begonnen hat. Seitdem gehe ich mit neugierigen Kinderaugen durch die Natur und freue mich über jeden Krokus.
Auf die kleinen Schönheiten der Natur aufmerksam zu machen – das liegt auch Mirjam Wey am Herzen. Vor sieben Jahren besuchte sie einen Floristik-Kurs, um ihrem Wunsch nach handwerklichem Ausdruck zu folgen. Dabei entdeckte sie bald ihre Leidenschaft für das Flechten und Experimentieren mit selbst gesammelten Naturmaterialien. Autodidaktisch und in Kursen eignete sie sich verschiedene Techniken an.
Fremde Traditionen und Techniken
Ich treffe Mirjam an einem kühlen Märztag in ihrem Atelier in Nuglar. Virtuos winden sich Objekte, die als Skulpturen wie auch Blumengefässe funktionieren. Geflochtene Reliefs und filigrane Mobiles aus Schwemmholz und Blättern schmücken den Raum. Ein beeindruckendes Wandobjekt fängt meinen Blick ein: Bleistiftartig zugespitzte Weidenstäbe sind durch geschälte, fein gehobelte Weidenschienen miteinander verbunden. Mirjam erklärt mir, dass es sich dabei um die "Koboko"-Bindetechnik handle, die im Norden Ugandas für den Bau von Dächern verwendet würde.
Generell lasse sie sich gerne von fremden Traditionen inspirieren. In Spanien erlernte sie die sogenannte «Nansa-Technik», die einst für das Erstellen von Fisch-Reusen entwickelt worden war und bei der ein lokales Material wie Weide, Binse oder Olivenzweige mit reissfester Schnur verknüpft wird.
Mirjams liebster Werkstoff ist die bei uns beheimatete Weide. Die Ruten schneidet sie im biodynamischen Landwirtschaftsbetrieb der Nuglar Gärten. Dies tut sie im Winter – dann, wenn der Saft noch nicht in die Äste zurückgekehrt ist. Nach mehreren Monaten vollständigen Trocknens werden sie im Wasser eingeweicht, wodurch sie wieder biegsam werden.
Flechtwerke zwischen Präzision und Improvisation
Manchmal verwendet sie auch frische Weiden und Pflanzen, die erst im fertigen Objekt eintrocknen. Häufig greift sie dafür zu grasähnlichen Binsen, die sie in den feuchten Böden des Nuglarer Brunnenbachtals findet.
Beim Eintrocknen verändert sich die Farbe, das Material schrumpft, die Flechtstruktur wird luft- und lichtdurchlässig. Dieser Aspekt des Unkontrollierbaren passt zu Mirjams Arbeitsweise, die sich durch ein sorgfältiges Handwerk, aber auch eine gute Portion Improvisation auszeichnet.
So lässt sie sich stets von einer Ahnung, jedoch nicht einem fixen Bild leiten. Häufig würde ihr sogar «der Wuchs der Weide sagen, wo’s lang geht», meint sie.
Augen-Weiden: natürlich, lokal und nachhaltig
Mir gefällt die Leichtigkeit, mit der Mirjam wenig beachteten Pflanzen und Schnittgut neues Leben einhaucht. Dabei betont sie Werte wie Lokalität, Natürlichkeit und Nachhaltigkeit, indem sie unbehandelte Naturobjekte schafft, die zurück auf den Kompost finden, wenn sie nicht verkauft wurden oder ihren Lagerplatz für ein neues Werk räumen mussten. Mirjams Arbeit machte mir zudem deutlich, dass die wahren Augen-Weiden nicht immer blühen müssen. Denn in dem vermeintlich Toten oder Kargen ist das Lebendige bereits angelegt. Man braucht nur ganz genau hinzuschauen.
Schaut gerne auf Mirjam Weys Webseite vorbei: www.mirjamwey.ch
Julia Schallberger, März 2024
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