Erschienen im Wochenblatt, 18. Januar 2024
"Der Winter ist des Bodens Sommer": Winterruhe versus Bodenleben
2023 war global das heißeste, in der Schweiz das zweitwärmste Jahr seit Messbeginn. Trotz Erinnerungen an Vorjahre fühle ich mich von den Minustemperaturen und dem Schnee in den letzten Tagen überrumpelt. Obstbäume in Nuglar-St.Pantaleon ragen karg aus der Schneedecke. Gärten wirken trist. Viele wurden akkurat "aufgeräumt", nur hin und wieder lässt sich ein frostharter Kohlkopf entdecken.
Die Natur scheint oberflächlich jegliches Leben eingestellt zu haben. Doch in den Tiefen des Erdbodens laufen die biologischen Prozesse auf Hochtouren: Mikroorganismen zersetzen abgestorbene Pflanzenreste zu Humus; sie wandeln organische Materialien in Nährstoffe um. Und auch im Winter wird der Boden von wurzelnden Pflanzen und Bodenlebewesen bewegt und durchlüftet.
"Der Winter ist des Bodens Sommer", sagt Benjamin Zimber.
Benjamin ist Landwirt, Gärtner und Pädagoge und seit seiner Ausbildung bei Bio Stiftung Schweiz nun offiziell auch «Bodenbotschafter». In unserem Gespräch wird deutlich, dass es ihm ein Anliegen ist, gerade Kinder und Jugendliche – sprich die Zukunft der Gesellschaft – auf die Beschaffenheit, Bedeutung und die persönliche Verantwortung im Umgang mit dem Erdboden zu sensibilisieren.
Die Bedeutung der Bodenqualität für das Klima
In den letzten vierzig Jahren verschwand weltweit ein Drittel des fruchtbaren Ackerbodens durch Erosion. Pro Jahr kommt es zu durchschnittlich 1 mm Bodenverlust, was die Klimaerwärmung befördert. Vitale Böden spielen eine zentrale Rolle bei der Kohlenstoffbindung. Ich frage mich also: Mit welchen landwirtschaftlichen Praktiken sichern wir unsere Ernährung, ohne die Böden auszulaugen? Besser noch: Wie können wir sie aufbauen und ihre Fruchtbarkeit verbessern?
Der Boden in Nuglar
Betrachten wir den Boden nicht als neutrale Unterlage, der wir Jahr für Jahr alle pflanzennotwendigen Nährstoffe zuführen müssen, sondern als komplexes Ökosystem, mit dem wir zusammenarbeiten – dann müssen wir unseren Boden genau kennen. Und jeder Boden ist anders. In Nuglar sei er sehr schwer, karstig, ton- und lehmhaltig, erklärt mir Benjamin. Bei einer Tiefenbearbeitung könne man auf reichlich Kalkstein stoßen. Für den Gemüsebau sei er deshalb wenig geeignet. Es sei aber kein Ding der Unmöglichkeit, schmunzelt er. Seit vier Jahren nämlich baut er auf dem solidarisch geführten Landwirtschaftsbetrieb der Nuglar Gärten Bio- und Demeter-Gemüse an. Seit Anbeginn (2013) wird hier viel in den Aufbau des Bodens investiert. Statt umwälzend zu pflügen, setzt man auf Gründüngung und schonendes Lockern der oberen Schichten. Die Erde wird mit Kompost angereichert, und deren Speicherfähigkeit von Wasser und Nährstoffen durch Mulchen unterstützt. So konnte die Humusschicht über die Jahre hinweg stetig aufgebaut werden. Und auch die sogenannte "Krümeligkeit" – die lockere, rundporige Bodenstruktur, die ein reiches Bodenleben belegt – hat zugenommen.
Im Gespräch mit Benjamin wird mir klar: Auch wenn die Begriffe «Konstanz» und «Langsamkeit» mit den Erwartungen unserer Gesellschaft nicht immer zu vereinen sind – im Kampf um die Fruchtbarkeit unserer Erde, die letztlich unser aller Lebensgrundlage ist, scheinen sie aber wichtige Verbündete zu sein.
Julia Schallberger, Januar 2024
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